Dienstag, 12. Januar 2016

Jenseits des Vorstellbaren – Reisebericht über eine T&P-Reise nach Nordkorea (von Andreas Damson)



„Ihr seid ja verrückt, was wollt Ihr denn da?“ – „Kann man denn da überhaupt rein?“ – „Hast Du keine Angst, da regiert doch so ein Irrer?“ Als hätte ich eine Reise direkt in die Hölle vor mir, so schöne Fragen… Um es kurz zu machen: Ich wollte einfach dahin, um zu gucken, wie man es uns Touristen gegenüber darstellt, und dann schauen wir mal, wie wir das finden, ganz einfach. Und ich war mir sicher, ein besser überwachtes und somit wirklich “sichereres“ Land gab es nicht auf der Welt. Und wieso sollten die Nordkoreaner uns gegenüber mies gelaunt sein, schließlich zeigen wir ja Interesse an ihrem Land, und die wiederum sollten sich doch eigentlich recht bemühen, uns ihre „Wahrheit“ zeigen zu wollen. Und schließlich stand es irgendwann halt doch einmal auf meiner Liste der Länder, die ich noch bereisen wollte, nach genau 115 von insgesamt 198 Staaten dieser Welt. Also was schien näherliegend, als eine Gruppenreise dorthin zu veranstalten? Schließlich war ich ja nicht zufällig Reiseveranstalter geworden, na ja, und da will man ja trotz Business und Büro ja auch noch reisen…
So kam es also, dass sich außer meiner 16-jährigen Tochter Sheila, meiner Bürokollegin Terry und mir noch weitere zehn Abenteuersuchende am 2. September 2015 auf den Weg nach Nordkorea machten. Die bürokratischen Hürden im Vorfeld waren recht aufwändig, aber für uns als Reise-Profis natürlich kein Hindernis. Die Reise war also von vorn bis hinten durchgestylt, wir konnten bei den Planungen zwar unsere Route weitgehend selbst kreieren, aber seien wir ehrlich, wer wüsste schon, was es dort zu sehen gibt und was sich lohnt, wir kannten ja bis dahin noch niemanden, der je dort war! Also ließen wir uns auf die Vorschläge des staatlichen Tourismusbüros mangels besseren Wissens ein, aber äußerten auch Wünsche, die dann zu meinem Erstaunen auch widerspruchslos erfüllt wurden. Das einzige, was zumindest ich vor der Reise über dieses Land wirklich wusste, war das, was die Menschen zu genau diesen genannten, schreckerfüllten und Horrorszenarien heraufbeschwörenden Fragen veranlasste, nämlich… eigentlich nichts! Also nichts, was ich als gelernter Ethnologe  und damit Berufsskeptiker uneingeschränkt glauben würde. Mir war nur eines klar: alles, was wir über Nordkorea erfahren, war irgendwie nicht wirklich wertfrei und neutral verfasst, und da ich beruflich häufig mit Journalisten und Presse zu tun habe, und daher auch in etwa weiß, wie Presse und Medien funktionieren, habe ich natürlich eine natürliche Vorsicht entwickelt, Berichten uneingeschränkt Glauben zu schenken, egal aus welcher Richtung sie kommen. Am besten selber schauen. Das war dann auch das Motto, auf das ich als Reiseleiter unsere Reisegruppe am ersten Abend in Peking, wo unsere Reise begann, einschwor. Ich wollte erreichen, dass wir als offene, neugierige und aufgeschlossene Besucher kommen, nicht als Besserwisser, Weltverbesserer oder Kulturmissionare.
Wir reisten zum Teil gemeinsam nach Peking in China, einige aus unserer Gruppe buchten sich ihre Flüge selbst und somit auch teilweise einige Tage früher, um noch etwas von China mitzubekommen, bevor es dann in das Land „jenseits des eisernen Vorhangs“ ging, welches man ohnehin nur über einen Reiseveranstalter, in unserem Fall eben dem unsrigen, auf staatlich organisierte Weise bereisen kann. So war es eine bunte Truppe von durchweg weitgereisten Menschen, die mit uns unterwegs waren, auch solche, die noch nie zuvor an einer Gruppenreise teilgenommen hatten, dies aber „notgedrungen“ taten, denn es war ja einer der wenigen Wege in dieses Land. Oha, dann wollen wir mal  sehen, wie das harmoniert… Etwa zwei Drittel der Mitreisenden kannte ich persönlich von früheren Reisen in nur geringfügig weniger exotische Länder, von diesen wusste ich, das klappt. Aber wie würden die anderen mit dieser für sie neuen Situation und dann auch noch ausgerechnet in einem Land umgehen, wo doch alles recht wenig „individuell“ zu werden versprach?
Zwei Tage verbrachten wir zunächst in Peking mit dem Besuch der Chinesischen Mauer und der Verbotenen Stadt. Als ich vor 24 Jahren das letzte (und einzige) Mal in Peking war, glich der dortige Verkehr aus bekanntermaßen 9 Millionen Fahrrädern einem ruhig fließenden Fluss, es gab so gut wie keine Privatautos, dafür aber eine unglaubliche Infrastruktur für Fahrräder wie kleine (Rad-) Autobahnen mit Ausfahrten, Unterführungen und Kreisverkehren. Und heute? Es ist erschreckend, wie man altert, am besten sichtbar beim Reisen, wenn man nach vielen Jahren wieder an die gleichen Orte zurückkehrt. Diese Stadt entspricht mittlerweile wahrhaftig der Mega-City des 21. Jahrhunderts, bestehend aus Glas-Stahl-Beton-Wolkenkratzern, Neonreklame, Emblemen aller Weltmarken und einem Verkehr wie in Tokyo, Manila oder Bangkok, nur dass die meisten Autos Pferdchen, Sternchen und Jaguare auf den Kühlerhauben trugen. Wie war das nochmal, war China nicht irgendwann einmal in grauer Vorzeit ein kommunistischer Staat? Nur die Mauer stand noch so da, wie ich sie kannte, ehrenvoll wie eh und je und sie strahlte ihre mächtige Aura aus. Und die Verbotene Stadt mit ihren Palästen und Plätzen verzauberte mich abermals, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Und der vielzitierte Pekinger Smog? Keine Spur! Aha, da war sie wieder, die Irreführung der Medien… blauer Himmel und klare Luft! Ein guter Aufhänger für meine erste Vorbereitungsrede am Abend, bei der es darum ging, möglichst alle Vorurteile – besser Vorverurteilungen – gegenüber Nordkorea abzubauen und uns frisch und unbeschrieben wie ein Blatt Papier dem Land zu nähern, welches ja irgendwie die Welt bedroht und von vielen als das derzeit größte Atomkriegsrisiko dargestellt wird. Wir wussten, es sollten uns in Nordkorea zwei deutschsprachige nordkoreanische Reiseleiter zugeteilt werden, die gleichzeitig als “Aufpasser“ fungieren und uns dauerhaft observieren würden. Es war mein Plan für die Gruppe, dass wir uns bewusst allen gewünschten Verhaltensweisen unterwarfen und uns neugierig und offen präsentierten, wie Ethnologen das eben machen, wenn sie ihre eigene Kultur und damit ihr Normen- und Wertesystem auf Zeit verlassen, auf dass eine Vertrauensbasis entstand, aus der wir vielleicht Nutzen – sprich ehrlichere Antworten – ziehen könnten. Wir einigten uns darauf, das Spiel mitzuspielen, was bedeutete, sich auch einmal zu verhalten, wie wir dies niemals freiwillig tun würden, zum Beispiel das Verneigen vor den Statuen der großen Führer Kim Il Sung und Kim Jong Il (Vater und Sohn), die das Land quasi seit dem zweiten Weltkrieg beherrschten. Der dritte im Bunde, der heute regierende Staatschef Kim Jong Un, seines Zeichens Enkel von Kim Il Sung, legt anscheinend weniger Wert auf den statuesken Personenkult, wenngleich dieser im Westen ein eigenes, nicht weniger skurriles Image zu haben scheint. Oder keine kritischen Fragen zu stellen und überhaupt am besten gar nicht über Politik zu sprechen, auch unter anderem, um die beiden Reiseleiter nicht in irgendwelche schwierigen Situationen zu bringen. Wir würden einfach nur wissen wollen, wie es ist bzw. wie sie es uns eben zeigen, ihr seltsames Land. Die Gruppe nickte ab und versprach artig zu sein. Schön für einen Reiseleiter.
Und dann ging sie los, unsere „Expedition ins Unbekannte“. Wir wollten mit der Eisenbahn von Peking in etwa 24 Stunden auf dem Landweg nach Pjöngyang, der Hauptstadt Nordkoreas fahren, um uns so ganz allmählich und behutsam dem Land zu nähern. So stiegen wir also in den Zug, und zwar in den allerletzten Wagon, nur dieser fuhr direkt bis an unser Ziel. Außer uns befanden sich darin nur einige wenige Ausländer sowie die komplette nordkoreanische Taekwondo-Nationalmannschaft auf dem Rückweg von einem Turnier (das sie gewonnen hatten, wie wir später erfuhren). Wir richteten uns ein in unseren Liegewagen-Abteilen, nahmen einen gefeierten „Ablege-Schluck“ zu uns (alter T&P-Brauch) und verließen Peking. Und verließen und verließen… diese Stadt wollte gar kein Ende nehmen, endlose Stadtviertel mit schnell hochgezogenen Wohnblocks wechselten sich ab mit gigantischen Industriegebieten und als wir endlich glaubten, am Stadtrand angekommen zu sein, stellte sich heraus, dass wir schon in der nächsten Millionenstadt waren! Häusermeere, soweit das Auge reichte. Irgendwo mussten die 1,3 Milliarden Chinesen ja auch wohnen. Wir waren darauf vorbereitet, dass die Versorgung im Zug schwierig werden könnte, daher hatten wir uns mit kleinen Snacks eingedeckt. Aber eben nicht alle dachten an ausreichend Bier für die lange Fahrt, und so unternahmen Christian und ich den Versuch, zum Speisewagen durchzudringen, und siehe da, die Tür unseres Wagons zum „chinesischen Teil“ des Zuges war verschlossen… willkommen im kontrollierten Sektor! Eines muss man ja sagen, Christian, der noch nie zuvor an einer Gruppenreise teilgenommen hatte, war der Initiator, er nämlich wusste geschickt den Schaffner davon zu überzeugen, dass dies ja nun nicht ginge, so ganz ohne Bier und überhaupt… und vor allem essen müsste man ja auch! Also schloss der zuständige Wagonleiter verunsichert die Tür auf und wir schlugen uns durch mehrere Wagons hindurch, um endlich am Speisewagen anzukommen. Mit einer großen Kiste chinesischem Bier kämpften wir uns dann wieder zurück durch die proppevollen Wagons und gelangten schließlich wieder in den nordkoreanischen Zugteil. Die chinesischen Passagiere staunten nicht schlecht, als würden wir direkt aus der anderen Welt kommen und nun dorthin wieder verschwinden. Auch der nordkoreanische Schaffner musste lachen, als er sah, dass unsere Verpflegung ausschließlich aus einer großen Koste Bier bestand, aber so war die Fahrt gerettet und alles war gut. Die Nachtfahrt verlief feuchtfröhlich und irgendwann dämmerten wir dahin auf unseren Liegen, während draußen im Mondlicht die weiten Ebenen der Mandschurei an uns vorüberzogen.
Der nächste Morgen. Wir sind an der chinesisch-nordkoreanischen Grenze. Unser Adrenalinspiegel stieg von Minute zu Minute, wie wird es wohl werden? Die Ausreiseformalitäten auf der chinesischen Seite waren schnell gemacht, trotz einiger Wartezeit. Was dann aber folgte, war wirklich skurril: Der Zug glitt langsam über die Grenzbrücke über den Fluss, der die beiden Staaten trennte, in etwa einhundert Metern Entfernung zog sich direkt parallel eine weitere Brücke über den Fluss, aber diese endete dann mitten auf halber Strecke abrupt. Am Ende dieser Brücke erblickten wir einen Aussichtspunkt mit Restaurant und Münzferngläsern, um die sich hunderte von Menschen tummelten, im Hintergrund fast schon provokativ die Skyline der Stadt, deren Namen ich schon wieder vergessen habe im Taumel der unzähligen Millionenstädte unterwegs. Aha, eine Touristenattraktion, „North-Corea-Watching““ Und wir sind die Statisten! Ich kann mir gut vorstellen, was sie dachten, als sie uns sahen (unser Wagon war mittlerweile vom chinesischen Teil abgekoppelt und mit anderen nordkoreanischen Wagons verkuppelt worden). Und wir wiederum dachten nur eins: „Ätsch, wir fahren rüber!“ Ein sehr erhabenes Gefühl beschlich uns alle, natürlich nicht frei von Nervosität. Als wir auf der anderen Seite ans Ufer kamen, sprach ein jeder von uns wohl gleichzeitig leise vor sich hin… „ich bin in Nordkorea…“. Da standen wir nun auf dem nordkoreanischen Grenzbahnhof und ich muss zugeben, es war genauso, wie man sich dies vorstellt: grau, heruntergekommen, öde. Doch dann erschien eine kleine Gruppe Menschen in bunten Kleidern, alle trugen Blumensträuße in der Hand, ein klappriger Militärjeep fuhr direkt auf den Bahnsteig und dann wurden Lautsprecherboxen aufgebaut (solange blieben die Türen des Zuges natürlich verschlossen), bald ertönte schrille Marschmusik, gepaart mit sphärisch-sopranen Frauenstimmen und sogleich war uns klar, dies ist nicht das Empfangskomitee für uns, sondern für die Taekwondo-Mannschaft, die hier zuerst einen stolzen Empfang beschert bekam. Es wurde gratuliert, verneigt, Reden geschwungen, Ehrennadeln angeheftet, Hände geschüttelt, Freudentränen vergossen und sich umarmt. Wir starrten nun alle aus den Fenstern und verfolgten das Spektakel, bis es sich wieder legte, alle Sportler wieder einstiegen, die ganze Korona wieder abzog, und wieder Stille einkehrte. Was war das denn? Nach weiterem Warten erschienenen dann die Grenzbeamten und stiegen in unseren Wagon. Als wäre es das normalste der Welt, begrüßten sie uns freundlich auf erkennbar selten gesprochenem Englisch, gingen von Abteil zu Abteil, um unsere Pässe einzusammeln und um das Gepäck (sehr oberflächlich) zu inspizieren. Die einzige Frage, die ihnen dabei wichtig erschien, war, ob wir „baibols“ dabei hätten, was wir natürlich verneinten, als würden Missionare heutzutage noch Bibeln aus Papier schmuggeln, unsere Sticks und I-Pads durften wir wohl einführen, aber die haben sie nicht kontrolliert. Irgendwie war es fast zu freundlich, wie uns diese Uniformierten mit ihren übergroßen Mützen entgegentraten, sie wünschten uns nämlich eine wunderschöne Reise in ihrem Land, brachten unsere gestempelten Pässe wieder zurück und halfen sogar dabei, das inspizierte Gepäck wieder in die Gepäcknetze zu hieven. Das Ganze dauerte zwar etwa drei Stunden, aber es waren natürlich solche Stunden, in dem man extrem aufmerksam die Umgebung beobachtet, jede Bewegung und jeden Gesichtsausdruck der Menschen zu interpretieren versucht: Sind sie böse? Sind sie unterdrückt? Leben sie in ständiger Angst und Armut? Irgendwie deutete nichts darauf hin, im Gegenteil, sie lachten, rauchten, liefen salopp umher, einen Soldaten beobachtet ich dabei, wie er im Scherz einem Kollegen einen Klapps auf den Hintern versetzte und dann laut lachend davon lief, irgendwie ganz wie bei uns… und doch anders.
Dann setzte sich der Zug endlich wieder in Bewegung. Wir verließen das graue Bahnhofsareal und dann folgte etwas Unbeschreibliches: schon auf den ersten Kilometern erschloss sich uns eine Landschaft, wie man sie fast nur noch aus dem Bilderbuch kennt: Eine ländliche Bauern-Idylle, wunderschöne hügelige Landschaft, prachtvolle Felder und Wiesen, Dörfer, deren Häuschen zwar alle in regelmäßigem Muster angeordnet waren, aber jedes einzelne eine traditionelle Bauweise aufwies, mit schnörkeligen Dächern und Ziegeln verziert. Auf den Straßen ausschließlich Fußgänger, Radfahrer und Ochsen- bzw. Pferdewagen, hie und da ein Lieferwagen. Wir staunten nicht schlecht über diese aufgeräumte, irgendwie ein „Heile-Welt“-Bild vermittelnde Idylle, auch das Wetter war für einen ersten Eindruck brillant, strahlend blauer Himmel, saubere klare Luft… Das haben sie sicher absichtlich so gemacht!
Uns wurde von vielen Seiten vorher zugetragen, sie würden uns natürlich nur die schönen Seiten des Landes zeigen und sozusagen eine Fassade aufbauen vor der grauenvollen Wahrheit, damit wir nicht sehen, dass die Bevölkerung unermesslich leidet und hungert, und uns nur von einem Monument als Zeugnis ihrer Schaffenskraft zum nächsten karren. Und wir würden niemals mit Einheimischen in Kontakt kommen, alles würde uns verboten werden und wir würden abgeschirmt von der wirklichen Welt reisen. Schon jetzt stellten wir uns alle die Frage, wie es wohl möglich sei, die kompletten 1300 Kilometer Reiseroute, die wir vor uns hatten, mit Kulissen vollzustellen.  Zumindest schien uns schon jetzt, dass es wohl eine wahre Meisterleistung sein musste, wegen uns paar Hanseln, die auf dem Landweg einreisten, so viel Aufwand zu betreiben, so viele Maispflanzen zu stecken und so viele Reisfelder anzulegen, auf dass diese 13 Touristen glauben mögen, es ginge dem Land gut, alle Achtung! Doch es sollte ganz anders kommen…
Wir bewegen uns hier auf einem fragilen, politischen Terrain, einerseits möchte ich keineswegs in Abrede stellen, dass ein Staat, der so einen Führerkult pflegt, die Todesstrafe praktiziert, Menschen nicht ausreisen lässt und mit Atomschlägen gegenüber anderen Staaten droht, auch nur annähernd irgendwie akzeptabel wäre. Andererseits fragen wir uns selten, wie kommt ein Land darauf, so zu agieren? Als Ethnologe interessiert mich immer die Perspektive des „Anderen“, des „Fremden“, unabhängig von meinem eigenen Werte- und Normensystem bzw. meiner Kultur, soweit man diese eben möglichst – kurzfristig – ablegen kann. Allererste Aufgabe dabei: Zuhören! Ich verzichte im Folgenden darauf, unsere Reise im Detail zu beschreiben, jeden Ort zu erwähnen, jedes Denkmal und jede Sehenswürdigkeit zu skizzieren. Ich möchte vielmehr eine Auswahl an Erlebnissen, Eindrücken und Begegnungen schildern, die unsere Reise zu dem machten, was sie war, nämlich ein einzigartiges Abenteuer mit einer fremden Welt und auch der eigenen Horizonterweiterung, vielen Überraschungen und einer tollen Truppe von offenen und neugierigen Mitreisenden.
Pjöngyang: Mit großem Trara – für uns schon fast Routine – wird die Taekwondo-Mannschaft empfangen, Blumen, Spalier, laute übersteuerte Marschmusik, Orden, Händeschütteln, man kennt das ja. Wir stehen draußen auf dem Bahngleis und weit und breit niemand, der sich für uns interessiert, geschweige denn, der uns vom Fotografieren und Filmen abhält. Die Menschen schauen uns nur beiläufig an, lächeln uns zu, widmen sich aber dann wieder ihren Stars. Und da standen wir nun, bestellt und nicht abgeholt, und das mitten in Nordkorea! Und irgendwie auch überhaupt nicht „vollkommen überwacht“. Wollten sie uns testen? Heimlich beobachten und dann in die Zange nehmen? Ganz und gar nicht, denn es dauerte etwa 15 Minuten, dann keuchten zwei erkennbar zu spät kommende Herren in dunkelblauen Anzügen auf uns zu, begrüßten uns auf Deutsch, entschuldigten sich für Ihr Zuspätkommen und stellten sich als unsere beiden Reiseleiter vor, Herr Chu und Herr Song, sehr angenehm! Sie führten uns zu Fuß samt Gepäck durch die Eingangshalle des Bahnhofs, bis wir vor der Tür plötzlich mitten im nordkoreanischen Alltag standen, ein wahrhaft prickelndes Gefühl. Wir schritten durch eine Menschenmenge, die kreuz und quer durcheinander lief, sodass sich die Gruppe auseinanderzog und jeder schauen musste, wie er sich den vorauseilenden Reiseleitern an die Fersen heften konnte. Die Menschen schauten eigentlich gar nicht erstaunt, nahmen kaum Notiz von uns, einige lächelten uns zu, aber von räumlicher Trennung zwischen Touristen und Einheimischen konnte in diesem Moment kaum die Rede sein, es war wie ein Ameisenhaufen und wir mittendrin! Mit einem relativ modernen Bus wurden wir dann in das bekannte Viersternehotel Yang Gak Do gebracht, checkten ein (ein vollkommen normales Hotel, das auch in jeder anderen Stadt hätte stehen können) und unser erster Blick auf dem Zimmer galt der prächtigen Aussicht auf Pyöngyang im Abendlicht bei Sonnenuntergang. Herrliche Lage, unser Hotel stand auf einer kleinen Insel mitten im Fluss, der die zentralen Stadtteile voneinander trennt. Natürlich konnten wir nicht unterlassen, unser Zimmer nach Abhörgeräten abzusuchen, allerdings mehr aus einem reinen James-Bond-Gefühl heraus, nicht etwa in der Kenntnis, wie solche Wanzen denn überhaupt aussahen. Aber ich leugne nicht, die Gespräche mit meiner Tochter verliefen zunächst etwas verhalten, man weiß ja nie…
Zum Abendessen verabredeten wir uns mit den Reiseleitern und der Gruppe im Foyer, in dem sich erstaunlich viele Ausländer tummelten. Es war ja nicht das einzige Hotel, das Touristen beherbergte, wie sich später herausstellte. Herr Chu fragte mich, ob wir im Hotel essen wollten oder lieber in einem Restaurant in der Stadt, man könne so anschließend noch einen kleinen Spaziergang unternehmen, „Pjöngyang by night“ sozusagen. Na klar, fein! So wurden wir in ein Restaurant gefahren, das von außen kaum als solches erkennbar war, in dem außer uns überraschenderweise ausschließlich Nordkoreaner aßen, die allerdings natürlich zu einer gewissen Oberschicht zu gehören schienen. Aber es wurde kein Wort seitens unserer Begleiter darüber verloren, dass man nicht etwa mit ihnen sprechen sollte, geschweige wurde uns irgendwann einmal während der gesamten Reise etwas zu irgendeiner Form von Kontaktverbot gesagt, zu keiner Zeit. Es wäre ja auch viel zu direkt gewesen, wir wussten, dass sich die Reiseleiter da niemals konkret und damit ja “angreifbar“ äußern würden. Ein solches Gebaren wäre auch in keinem anderen ostasiatischen Land an den Tag gelegt worden, sie haben da andere Methoden, dies zu verhindern, wie uns schien.
Die nordkoreanische Küche war erstaunlich lecker, das Nationalgericht „Kimchi“, eingelegte Kohlblätter, durfte fortan bei keiner Mahlzeit fehlen, ansonsten eben koreanische Küche, vielleicht etwas eingeschränkter von der Auswahl her, aber durchaus schmackhaft. Als „Verdauungsspaziergang und für einen ersten Eindruck unserer schönen Stadt“ fuhren wir dann die ersten Monumentalbauten bei Nacht an. Auffallend: kaum Autos unterwegs, nur die Hauptstraßen einigermaßen beleuchtet, dafür Fußgänger, teils mit Taschenlampen ausgestattet, einige Taxis und hie und da ein öffentlicher Linienbus. Wir erwischten uns wohl alle beim intuitiven Scannen dessen, was uns umgab, und wenn es nur ganz banale Dinge waren: Reklameschilder? Fehlanzeige, wozu auch. Wie gehen die Menschen, schnell oder langsam? Haben sie Gardinen hinter den Fenstern ihrer Wohnblocks? Wie sind die Fassaden verputzt, bröckelt es schon? Wer schon viel in Asien unterwegs war, für den war sicherlich eine Erkenntnis von Bedeutung: Die gesamte Stadt war extrem sauber, die fehlenden Neonlichter und Reklamen erscheinen eher als wohltuend, die Stadt verströmte definitiv keine Hektik und Eile, und sie erinnerte natürlich an frühere Aufenthalte in der damaligen DDR, zumindest auf den ersten Blick. Die Betonblocks wiesen die typischen schalen „Ostblock-Fassaden“ auf, Zweckbauten natürlich, Pyöngyang wurde im Korea-Krieg von den Amerikanern in Grund und Boden gebombt. Herr Chu erzählte, es wurden zwischen 1950 und 1953 mehr Bomben auf Pjöngyang abgeworfen, als die Stadt damals Einwohner hatte. Dafür muss man sagen, haben sie ihr Versprechen recht eindrucksvoll erfüllt, die Stadt innerhalb von wenigen Jahren wieder aufzubauen. „Tschoolima“ nennen sie das mythologische Pferd, das so schnell war, dass man sich dessen Tugenden für den Wiederaufbau zu Herzen nahm und die damalige Aussage der Amerikaner, das Land würde einhundert Jahre brauchen, um wieder funktionsfähig zu sein, Lügen strafte. Sie brauchten genau zwanzig Jahre und kein Trümmer war mehr zu sehen, und die Stadt bot wieder Wohnraum für knapp 400.000 Menschen. Man konnte den Stolz unseres Reiseleiters nach diesen Geschichten irgendwie nachvollziehen, zu diesem fleißigen Volk zu gehören. Auf jeden Fall schlenderten wir dann auf dem Platz zwischen Nationalbibliothek und dem Kulturpalast umher, machten unsere Fotos – die ersten Denkmäler der großen Führer vor Augen - und fühlten uns dabei trotz allem irgendwie wohl, denn die Atmosphäre mit unseren Guides war sehr entspannt, auch wenn ich ahnte, dass auch sie nicht ganz ohne eine gewisse Nervosität erst einmal die Lage sondierten, was wir denn für ein Grüppchen waren. So erklärte uns Herr Chu alles Wissenswerte über die jeweiligen Bauten, aber zwischendurch näherten wir uns den beiden per Smalltalk, Familie, Kinder, „wie lange machen Sie schon Reiseleitung?“, „aus welchen Städten in Deutschland kommen Sie?“. Bis wir dann wieder im Hotel eintrafen, und für den nächsten Tag absprachen und schließlich ohne unsere Begleiter in der Bar einen letzten Umtrunk einnahmen. Das Hauptthema waren natürlich die ersten Eindrücke, und uns allen war klar, dies würde eine spannende Reise werden. Bis dahin war alles optimal verlaufen und wir freuten uns auf das, was da auf uns wartete. Mit unseren hervorragend Deutsch sprechenden Reiseleitern hatten wir wohl ein ganz gutes Los gezogen, beide schienen sehr sympathisch und schon am ersten Abend war klar, sie haben einen gewissen Humor, und das ist wichtig für eine persönliche Beziehung, die ich zu den beiden knüpfen wollte. Wir wollten ja mehr wissen, als nur das Übliche über Land und Leute.
Ein paar Worte zu unserer Reiseroute: In den folgenden Tagen besuchten wir also sämtliche Bauten und Monumente der Hauptstadt, wir fuhren gen Nordosten ins Myohyang-Gebirge zum Wandern, besuchten die zu einem Großteil in den Berg gegrabene Ausstellung der Staatsgeschenke an die Großen Führer, statteten dem größten Meeresstaudamm der Welt bei der Hafenstadt Nampo einen Besuch ab, badeten im Gelben Meer, wohnten in Kaesong, der einzigen noch mit Altstadtkern bestückten Stadt Nordkoreas, in einer  traditionellen und sehr urigen Herberge, besuchten Tempelstätten und wiederum Monumente und Statuen und schließlich auch das Mausoleum der beiden Großen Führer. Die Reise führte uns nach Süden zur Demarkationslinie und der sogenannten Demilitarisierten Zone, der Grenze zwischen Nord- und Südkorea und den berühmten blauen Pavillons, in denen die Waffenstillstandsvereinbarungen nach dem Koreakrieg stattgefunden haben. Und dazwischen wieder in Pjöngyang, um dort die Festlichkeiten zum 9. September, dem Jahrestag der Parteigründung beizuwohnen. Die Reiseroute ist in unserem Reiseprogramm nachzulesen, ich möchte hier nur die eindrucksvollsten Erfahrungen wiedergeben, die an sich auch an allen möglichen Plätzen hätten stattfinden können.
Unsere erste Begegnung mit den Großen Führern Kum Il Sung, dem Staatsgründer, und seinem Sohn  Kim Jong Il passierte schon am zweiten Tag. Wir fuhren während unserer Stadtrundfahrt zu jenem Denkmal, das kein Nordkoreaner im Vorbeigehen so einfach links liegen lassen würde. Hierauf bereiteten uns unsere Reiseleiter eingehend vor: Es galt, sich würdig zu bewegen, ordentlich gekleidet, vor dem Monument die Blumen niederzulegen, die wir vorher an irgendeinem Straßenstand kauften, sich vor den in überlebensgroßer Dimension dargestellten Bronzestatuen in einer Linie aufzureihen und dann eine deutliche Verbeugung zu vollziehen, um sich dann wieder würdigen Schrittes zu entfernen. Dazu beobachteten wir vorab die scharenweise daher schreitenden Einheimischen. Erstaunlich: Bis kurz vor dem Monument liefen alle recht schnellen Schrittes direkt auf die beiden zu, kurz davor formierten sie sich, um genau diesen Ablauf zu vollziehen. Dann schritten die einzelnen Grüppchen wieder von dannen, allerdings sehr locker und munter schwatzend, wie wenn nichts wäre. Also nun wir. Ich gebe zu, es war ein sonderliches Gefühl, etwas zu tun, was mir nie im Traum eingefallen wäre, mich zu verbeugen vor Herrschern, die zu Lebzeiten so viel Leid und Elend verursacht zu haben schienen, wie alle Welt zu wissen glaubt. Eines meiner Hauptreisemotive war, in etwa einen Hauch von Verständnis dessen zu verspüren, was die Deutschen während des Dritten Reichs gefühlt haben müssen, als sie – bei nur wenigen Ausnahmen -  der Begeisterung für die Sache anheimfielen und sich keinerlei Gedanken über das „wie“ und „warum“ gemacht haben. Was bringt jemanden dazu, sich so vollkommen von sämtlichen humanistischen Werten und Normen zu entfernen und in der Euphorie solchen Herrschaftsstrukturen zu huldigen? Ist es vielleicht einfach die Gemeinschaft, die flächendeckend jeden ergreift und eine Art Familiengefühl produziert, „wir gegen den Rest der Welt“? Meine Verbeugung – es war die allererste meines Lebens – verlief mehr oder minder gelungen, aber ich musste mich zwingen, mir einzureden, dies alles geschah nur im Auftrag meiner ethnologischen Identität auf der Suche nach dem Vertrauen, das ich unbedingt haben wollte. Niemand zwang uns, hier mitzuspielen, wir mussten ja die Denkmäler nicht besuchen, nein, wir wollten es und es zeigte sich, dass wir es alle wohl ganz ordentlich gemacht haben, denn unsere Reiseleiter zeigten sich im Laufe unserer Reise immer zufriedener, wurden lockerer, erlaubten uns immer mehr spontane Stopps und auch Abstecher unterwegs. Also, Mission zunächst einmal erfüllt, die Strategie war gut.
Und irgendwann ergab sich die Situation, dass ich Herrn Chu fragte, ob er wüsste, wie der Westen über Nordkorea dachte. Seine Antwort war nicht weniger verblüffend für mich, als mein weiterer Ansatz danach für ihn. Er meinte, es würde wohl sehr viel negative Propaganda gegen sein Land betrieben, aber ich solle wissen, es wäre alles gar nicht so schlimm, wie wir wohl meinen würden. Ich meinte wiederum, er solle wissen, dass auch ich nicht alles glaube, was der Westen über Nordkorea sagt und dass wir einfach hier sind, um zu erfahren, was denn die Wahrheit sei (welcher Art sie auch immer uns mitgeteilt werden würde). Seine Gesichtszüge wurden mit einmal Mal entspannter, ein Hauch von Lächeln huschte über seine Wangen und er blickte mir für ostasiatische Verhältnisse sehr lange direkt in die Augen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, nun wirklich willkommen zu sein, und das auch von Herzen. Ich glaube nicht, dass er diese Haltung schon sehr oft zu hören bekam, und dies wiederum gab ihm offensichtlich zu denken. Fortan verband uns eine Art freundschaftlicher Beziehung, obwohl wir uns entgegen meiner Regel, mich mit allen Guides, mit denen ich in den letzten 20 Jahren zusammengearbeitet hatte, zu duzen, während des gesamten Zeitraums über gesiezt haben. Und natürlich auch aufgrund der „guten Führung“ meiner Gruppe, die sich durchweg während der gesamten Reisen als sehr kompatibel erwies, indem sie es unterlies, die Aussagen der Reiseleiter zu diskutieren oder offenkundig zu widersprechen, sondern ganz schlicht einfach offen blieb und zuhörte, dabei freundlich, locker und sympathisch, auch wenn mancherlei Dinge schwer nachvollziehbar waren. Diese Art von Kooperation – nennen wir es einmal „wir sind beide Spielball der Mächte, aber wir versuchen einmal, einander zu vertrauen“ – brachte uns sicherlich den einen oder anderen Vorteil, sei es, das Gefühl bekommen zu haben, wir sollen nur sagen, was wir haben wollen, sie werden alles versuchen. Oder sei es das Gefühl, dass wir sicher viel mehr Informationen über das Land und auch über heikle Themen bekamen, was andere vielleicht nicht bekommen haben.  So wurde beispielsweise natürlich immer geschaut, dass die Gruppe zusammen blieb, aber jedes Mal – und es gab viele solche Momente – wenn jemand aus der Gruppe nicht nachkam oder sich zum Fotografieren irgendwohin „abseilte“, wurde auf diesen gewartet, aber niemals gerügt, geschweige denn, irgendwoher weggeholt. Und es kamen dabei auch kleine Gespräche mit Einheimischen zustande, Smalltalk wohl über „woher“ und „wohin“ (vielmehr habe ich in Japan trotz zweieinhalb Jahren Volkshochschulkurs Japanisch mit Japanern auch nicht bewerkstelligt bekommen), und der eine oder andere schüchterne Flirt mit den Schönen des Landes wurde nicht missgünstig beäugt, sondern vielmehr noch schmunzelnd gewürdigt oder gar humorvoll kommentiert (Männer eben, überall gleich!…).
Man sagt, dass etwa eine Million von derzeit ca. 20 Millionen Nordkoreanern in der Armee dienen. Dies ist wohl kaum zweifelhaft und auch nicht zu übersehen, denn es waren fast überall Soldaten zu sehen, in den Städten, auf dem Land, auf den Straßen und auch in den Bergen beim Wandern. Was aber den Unterschied zu vielen anderen Ländern ausmacht, die ich bereist habe: Es gab so gut wie keine Kontrollen, es hat uns während der gesamten Reise nicht ein einziger Uniformierter angesprochen oder wollte unsere Pässe sehen. Die Männer müssen – laut nordkoreanischer Aussage – wohl für zwei bis drei Jahre zum Militär, je nach Einheit, die Frauen hingegen gehen freiwillig zwei Jahre, da herrscht keine Wehpflicht. Wir sahen Soldaten auch bei diversen Arbeiten wie Straßen- und Hausbau oder Feldarbeit. Die meisten waren unbewaffnet, es hatte den Anschein, dass sie wohl in der Masse eher mit der staatlichen Instandsetzung beschäftigt waren, als mit der Inschachhaltung der Bevölkerung, zumindest spürten wir bei trotz der voluminösen Präsenz des Militärs kein auffälliges Unbehagen seitens der Einheimischen, wie ich es beispielsweise von einigen afrikanischen und anderen asiatischen Ländern kenne. Dort merkte man oft schon sehr offenkundig, wer hier am Drücker war und vor wem man zu spuren hatte. Nichts dergleichen in Nordkorea. Sehr verwunderlich.
Offiziell nennt der Westen Nordkorea einen atheistischen Staat und Religion sei strikt verboten. Als wir uns bei unseren Reiseleitern darüber erkundigten, fragten sie uns erstaunt, wer denn so etwas behaupten würde. Die Nordkoreaner seien wohl nicht sonderlich gläubig, aber es herrsche Religionsfreiheit, sichtbar auch an den insgesamt vier christlichen Kirchen (zwei Russisch-Orthodoxen, eine evangelische und eine katholische) alleine in Pjöngyang. Auch ein paar wenige buddhistische Tempel wären aktiv und es würden dort auch Mönche leben. Von diesen sagt man im Westen, sie wären allenfalls gut geschulte Schauspieler, die den Touristen diese Religionsfreiheit vorgaukeln sollen. Als wir einen dieser Tempel besuchten, führte uns ein Mönche durch den Raum, zugegeben, er machte dies so gut wie ein ausgebildeter Gästeführer, dass man zunächst einmal mit einem süffisanten Grinsen seinen Erklärungen lauschte. Was mich dann aber verwunderte, nachdem sich die Reisegruppe und auch andere Touristen wieder aus dem Tempel zurückzogen, war, dass sich der Mönch dann ebenfalls wieder abwandte und sich offensichtlich wieder weiter seinen Ritualen widmete, indem er bestimmte Mantras murmelte. Ich blieb um die Ecke hinter einem Pfeiler stehen und wollte herausfinden, ob er wohl seinen mönchshaften, „erhabenen“ Habitus wohl ablegte und sich wieder in den kommunistischen Schauspieleralltag zurück begab. Nichts dergleichen geschah jedoch, er blieb bei seinen Ritualen, wo er meiner Ansicht nach doch unbeobachtet gewesen sein müsste. Skeptiker könnten nun sagen, er hätte genau gewusst, dass ich ihn beobachtete, wozu diente sonst ein so guter Überwachungsapparat. Mir gab dies jedenfalls zu denken, und auch fiel mir der Gedanke schwer, so einen Zirkus veranstalten zu müssen, anstatt einfach zu sagen, es gäbe eben keine aktiven Mönche mehr in diesem und jenem Kloster, und da würde sich Nordkorea nicht wirklich sehr viel mehr von Südkorea unterscheiden, denn dort sind es lediglich noch etwa 12 bis 15 Prozent der Bevölkerung, die sich nach wie vor als Buddhisten bezeichnen. Diese Frage wurde in unserer Gruppe noch länger diskutiert und wir waren uns nicht wirklich einig, ob es nun ein echter Mönch war oder ein Schauspieler. Und dann kam er mir wieder, dieser seltsame Gedanke: Was würde ich wohl tun, wenn ich Diktator eines Landes wäre und der Welt um mich herum verschiedene Dinge glaubhaft machen wollte? Würde ich Leute auf eine Schauspielschule schicken, die „Mönch“ lernen, um ein paar Touristen etwas vorzuspielen, was gar nicht wahr wäre? Ich glaube, ich würde einfach sagen, dies sei ein kommunistischer Staat und damit hat sich´s, denn auf der anderen Seite habe ich ja auch keine Hemmungen, den Nachbarn und vor allem den USA mit Atomschlägen zu drohen, warum dann so ein Zinnober um falsche Mönche? Nur so ein Gedanke, aber man weiß es natürlich nicht.
Dann endlich der Nationalfeiertag am 9. September in der Hauptstadt! Wir träumten von Paraden und Aufmärschen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, Millionen von gelichgeschalteten Menschen, die dem Führer zujubeln, schweres Geschütz wird aufgefahren und so weiter, aber es deutete sich schon an, dass es wohl nicht so sein würde. Der noch wichtigere Nationalfeiertag ist der 70. Geburtstag des vor einigen Jahren verstorbenen Staatschefs Kim Jong Il am 10. Oktober, daher war der 9. September dieses Jahr von vornherein sehr bescheiden ausgefallen, schließlich bereitet man sich schon monatelang auf den Oktober-Termin vor. Und so waren wir zwar ein klein wenig enttäuscht, dass das ganz große Spektakel ausbleiben sollte, dennoch hatten wir also die Gelegenheit, einem sogenannten „Massentanz“ beizuwohnen. Natürlich war die ganze Stadt mit Fahnen und Wimpeln geschmückt und es zogen zahllose Gruppierungen von einheitlich in weiße Hemden und rote Krawatten gesteckte Kinder und Jugendliche durch die Stadt, lachend, feiernd und auch - wenn man auf ein Fest geht - den ganz normalen Blödsinn machend, albern andere ärgern, schwatzen, raufen, singen. Auf dem großen Platz, umrahmt von Symbolen der Herrschaft in Form von Statuen, Spruchbändern und den obligatorischen, laut krächzenden Lautsprechern mit den uns mittlerweile wohlbekannten Arien aus Märschen und Soprangesängen, da formierten sich nun also etwa 3000 Männer und Frauen zwischen 16 und vielleicht 30 Jahren, paarweise und mit dem allerprächtigsten, was die Garderobe für solche Anlässe bereithält. Die Herren in schwarzen Hosen, weißen Hemden und bunten Krawatten, die Damen in ausladenden Gewändern, knallig-bunt und in sich regelrecht abwechslungsreich, also so gar nicht uniform. Dann ging´s los, Power-Sachlagermusik der 70er-Jahre, so schien es uns, nur eben auf nordkoreanisch… Einfache Schrittfolgen, das sah man, und so verspürte man – ohne sich in unserer Gruppe darüber auszutauschen – tatsächlich große Lust, mitzutanzen… wie würde das aufgefasst werden? Meine Tochter Sheila und ich zögerten kurz, aber dann riss sie mich einfach von den Stufen und nach ein paar Schritten fand ich mich wieder inmitten von 3000 nordkoreanischen Konformtänzern! Hatte jemand versucht, uns aufzuhalten? Keine Spur… wir reihten uns ein, taten uns zugegeben doch ein wenig schwerer als erwartet, aber schwuppdiwupp klinkten wir uns ein in die Reihen und schwenkten munter die Tanzbeine, wechselten die Tanzpartner und da dachte ich, wer uns in dieser Zeit etwas hätte mitteilen wollen oder wir ihnen, niemand wäre da gewesen, es zu verhindern… von wegen abgeschottet! Es war eher mühsam, sich wieder aus den Reihen zu befreien, und als wir endlich das „rettende Ufer“ erreichten, dachte ich dann, wie wohl unsere Reiseleiter nun darauf reagieren würden. „Sie haben aber gut getanzt!“ lächelte Herr Chu und klopfte mir auf die Schulter… und nun, was kommt noch? Nichts… „Wir hoffen, Sie hatten Spaß mit unserem Tanz?“ Keine Schimpfe, keine  Rüge… Der Popsound klang noch lange in unseren Ohren, auch begannen wir langsam, die mystisch-sopranen Stimmen zu vermissen, die uns bislang als unerträglich erschienen.
An der Demarkationslinie: Wir stehen direkt an der Grenze zu Südkorea. Der Balkon mit Blick auf die berühmten blauen Pavillons. Erkennbar die Grenze an der Farbe des Sandes, fein geharkt, man fragt sich von wem? Dahinter die amerikanischen Soldaten, die sich aber genau in dem Zeitpunkt hinter den Pavillons verschanzten, als wir auf den Balkon traten. Wir sollten nicht winken, was wir auch nicht taten, um ja keinen Weltkonflikt auszulösen. Aber ich gebe zu, ich hatte große Lust dazu. Und irgendwie auch aus dem Motiv heraus, Rache zu nehmen dafür, dass WIR nicht in die Pavillons durften, denn auf der anderen Seite war gerade im gleichen Moment eine Delegation, die die Baracken von der anderen Seite aus betraten. Das war natürlich frustrierend, denn man sagt, in dem Raum ginge direkt die Grenze über einen der Schreibtische… und dann geschah wieder etwas Unglaubliches…

Ende von Teil 1!

FORTSETZUNG FOLGT!!!!!
























LINK ZUR REISE: http://www.travel-and-personality.de/nordkorea/erlebnisreisen/Jenseits+des+Vorstellbaren/KP-1

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