Von Dennis Hartke
Wenn ich auf einem weissen Blatt Papier beginne zu schreiben, denke ich grundsätzlich an Grönland. So wie das Weiss der Eisberge die für immer in meiner Erinnerung still und einsam in den Fjorden hoch oben im Norden treiben.
Wenn ich auf einem weissen Blatt Papier beginne zu schreiben, denke ich grundsätzlich an Grönland. So wie das Weiss der Eisberge die für immer in meiner Erinnerung still und einsam in den Fjorden hoch oben im Norden treiben.
Grönland war in meinem Leben immer
etwas Unerreichbares. Etwas, was ich nur von Bildern kenne. Niemals
hätte ich geglaubt diese Reise zu unternehmen. Diese Reise wird
alles in den Schatten stellen, was ich bisher erlebt habe.
Zuerst nach Reykjavik (Island) geht es
los. Nur für eine Nacht schlafen wir auf dem städtischen
Campingplatz bevor der Wecker in aller Früh klingelt. Auf gehts mit
unserem Gepäck zum zentralen Flughafen. Bald ist alles eingecheckt,
alle sind bereit für das größte Abenteuer unseres Lebens. Das
kleine Flugzeug (eine Fokker50) schraubt sich durch die Wolken und
bald ist nichts mehr unter uns zu sehen, als die Wolken und der
endlose Atlantik. Grönland liegt nur 300km von Island entfernt,
somit kann niemand im Flugzeug schlafen. Keiner möchte den ersten
Eindruck missen, keiner will das Ende der Welt verpassen. Nach
nichtmal zwei Stunden ist es soweit. Das Flugzeug beginnt den
Sinkflug und nun sind alle Augen draußen.
Der erste Eindruck Grönland von Oben
zu sehen ist unvergesslich. Langsam kommen die riesigen Berge näher,
langsam gerinnt der Ozean zu endlosem Weiss. Nebel schlängelt sich
entlang der Berghänge und unsere Maschine setzt hart auf der kleinen
Sandpiste auf. Wir sind nun in Grönland, in Kulusuk, dort wo alles
Land endet.
Ein kurzer Gang zum Ufer und bald
liegen unsere Rucksäcke in den kleinen Motorbooten der lächelnden
Inuit, welche uns nach Tasiilaq fahren wollen. Die Fahrt beginnt.
Vom ersten Moment an raubt Grönland
unseren Atem. Auf dem Boot wird es eisig. Der Wind zieht in jede
Ritze. Jetzt tauchen auch schon die ersten Eisberge auf. Hier erfüllt
sich unser aller Kindheitstraum. Rauschend und berauscht von diesen
Eindrücken landen wir in Tasiilaq, dem Hauptort der Ostküste. Unser
Zeltlager liegt direkt am Fjord. Nachdem wir alles aufgebaut haben
ruhen wir uns ein wenig aus, lernen uns gegenseitig kennen. Darauf
beginnt ein kleiner Rundgang durch das Dorf selbst. Wenn man aus
unserer geregelten Welt in die der Inuit eintaucht kann der ein oder
andere schon große Augen machen. Natürlich befinden wir uns hier in
einem Land der Extreme. Gesellschaftlich wie auch in Bezug auf die
Natur um uns herum.
Am Abend sitzen wir gemeinsam im Camp
und sprechen über die Reise. Wir sind uns sicher das die nächsten
Tage voller tief greifender Naturerlebnisse sein werden.
Nach einer ersten unruhigen Nacht
brechen wir nach dem Frühstück auf zu einer lokalen Wanderung. Ich
denke wir alle müssen uns erst an das Klima und die Umstellung
gewöhnen, jetzt sehr weit weg von Zuhause zu sein. Auch die nächsten
Tage werden wir mit Wandern verbringen. Ob zum Polarstrom, durch das
Tal der Blumen oder auf den Hausberg um Tasiilaq aus der Ferne zu
betrachten liefert uns die Arktis Eindrücke, die wir nur schwer
verarbeiten können. Wieder im Dorf kaufen wir etwas ein und besuchen
Robert Peroni in seinem Roten Haus. Einmal einen echten Abenteurer
kennenlernen war schon immer ein Traum von mir. Wir lauschen gespannt
bei einem Espresso seinen Erzählungen. Auch der Abenteurer Mike Horn
soll sich in Grönland aufhalten. Er ist laut Robert nur gerade beim
Fischen.
Still wandern wir wieder zurück in
unser Camp. Verwirrt von unseren ersten Tagen. Bestürzt von dem
gesellschaftlichen Verfall der Inuit und deren Kultur. Es bedarf
keiner Schönpinselei. Doch gleichzeitig zieht es uns hinaus aus
Tasiilaq in die Wildnis. Das ist der Grund warum wir hier sind.
Die Ausrüstung gepackt, unsere Zelte
abgebaut geht es am nächsten Morgen hinaus aus dem Fjord. Willkommen
im größten Skulpturenmuseum der Welt! Funkelnd wie Millionen von
Diamanten ragen Eisblöcke empor, erheben sich die Festungen aus Eis
vor uns. Schlösser von gigantischer Kulisse. Wir entdecken
Kunstwerke wie kein Künstler sie schaffen kann, Gemälde wie kein
Maler sie malen kann. Wir entdecken die Schönheit der Monotonie.
Das Wasser ist ruhig und unser Ziel ist
bald erreicht. Am Rande des Dorfes Kummiut schlagen wir unser Lager
auf. Jetzt sind wir wirklich angekommen. Unsere Zeit in Grönland
kann wirklich beginnen!
Berge umgeben uns. Ein kleiner
Süßwasserlauf erlaubt uns Frischwasser zu schöpfen. Der Nebel wird
nie verschwinden. So waren die ersten Eindrücke nachdem wir unser
Lager aufgebaut haben. Zusammen wandern wir entlang des Fjords. Nur
wenig Eis ist zu sehen. Wir konzentrieren uns auf die Miesmuscheln in
den Buchten und sammeln diese für unser Abendmahl. In gut 30min sind
wir im Dorf. Hier leben noch wahre Jäger. Robbenfleisch und Fisch
hängen an den Giebeln, Eisbärenfelle hängen über dem Geländer,
überall liegen Dinge herum. Die Häuser sind in einem schlechten
Zustand. Die kurze Saison erlaubt es kaum Reperaturen vorzunehmen.
Wir werden von jedem Bewohner freundlich begrüßt, jeder lächelt.
Was haben die Menschen hier nur für eine unendliche Güte in ihren
Herzen. Ihre Freundlichkeit ist unverfälscht rein und dabei stehen
wir weißen Menschen tief in ihrer Schuld. Die Bergkulisse lässt
alles erstarren was wir bisher in unserem Leben gesehen haben.
Postkartenstimmung gibt es auf jedem Bild, welches man in Grönland
schießt.
Die nächsten Tage verbringen wir mit
Wanderungen um Kummiut herum. Sogar ein Wal lässt sich kurz in der
Bucht blicken. Allerdings sind wir uns in der Reisegruppe einig das
wir lieber einen Wal als einen Eisbären sehen möchten. Und wenn,
dann bitte nur aus der Ferne. Wir sind zwar mit allem ausgerüstet:
Gewehr, Munition, Leuchtraketen und Satellitentelefon aber trotzdem
wäre ein Eisbär nur aus der Ferne lieb. Dafür begegnet uns ein
kleiner Jäger recht häufig. Ein Polarfuchs schleicht regelmäßig
um unser Camp herum und bedient sich an unserem Müll, den wir
sorgfältig verpacken. Doch schützen wird uns dies nicht. Bereits in
der folgenden Nacht wühl der Eindringling wieder unsere Kisten
durch. Die Sauerei die der Polarfuchs verursacht beseitigen wir
allerdings erst am nächsten Tag. Bevor wir all dies jedoch passiert
sitzen wir mit unseren Muscheln am Fjord und bestaunen die Landschaft. Niemand spricht. Alle schauen bloß zu. Mehr ist
auch nicht nötig.
Die Boote werden wieder beladen. Wir
wollen weiter. Nordwärts.
Mit hoher Geschwindigkeit rasen wir
durch die Fjorde. Die Inuit kennen ihr Land genau, deshalb vertrauen
wir ihnen bei der gesamten Navigation. Irgendwo verspüren wir
Abenteuergeist. Das ganze hat etwas von einer Expedition. Wir fahren
zum Knud Rasmussen Gletscher. Dort angekommen schlagen wir unser Camp
direkt am Rande des Gletschers auf. Die Aussicht ist überwältigend.
Eine über 20m hohe Mauer aus Eis bereitet uns Herzklopfen. Hier
werden wir die nächsten Tage verbringen. Wir sind nun fernab von
jeglicher Zivilisation. Hier draußen gibt es keine Verbindung zur
Aussenwelt, kein Handynetz, kein Geld ist nötig, niemand wird uns
begegnen, nur wir selbst begegnen und finden uns.
Die Zeit vergeht und wir lassen die
Seele baumeln.
Zum ersten Mal scheint mein Zuhause so
weit weg. Ich fühle mich in der Welt zu Hause, doch hier ergeben
sich Fragen, die ich mir vor der Reise nie gestellt hätte. Ich sitze
stundenlang am Wasser und blicke zum Gletscher. Fast minütlich
brechen die Giganten aus Eis und stürzen ins Wasser. Das die
Gletscher verschwinden ist kein Geheimnis. Doch der Blick wird immer
wieder übertroffen von diesem unglaublichen Panorama in dem ich mich
hier befinde. Inzwischen schlafe ich so tief wie schon lange nicht
mehr. Jeden Tag stehe ich ausgeruht auf. Egal wie Kalt die Nacht oder
der Tag auch ist. Seit langer Zeit finde ich wieder Ruhe um meine
Gedanken zu sortieren. Hier in Grönland denkt niemand daran
Geschäfte zu machen. Niemand denkt an Reichtum, an Geld. All die
Hektik, die rennende Zeit, die Straßenschluchten gefüllt von Autos,
all dies ist so fern und nebensächlich. Wir konzentrieren uns nur
auf das was jetzt gerade passiert. Wir pflegen nur unsere
Grundbedürfnisse, kochen zusammen, wandern zusammen, fühlen Wärme,
und schöpfen das Wasser direkt aus dem Flusslauf nebenan in welchem
wir ebenso baden. Und plötzlich wird uns bewusst wie wenig wir
eigentlich zum Leben brauchen. Hier in Grönland kommen wir zurück
zu unserem eigentlichen Wesen. Zu uns Menschen.
Die Sonne steht auch am nächsten Tag
wieder am Himmel. Die Zeit der ewigen Stille in der Arktis wird bald
vorbei sein. Nochmal wandern wir entlang des Fjords bestaunen
Gletscher, hüpfen über Geröll, lassen uns mit den dicken
Eisbrocken am Ufer fotografieren. Wir lieben diese Reise, dieses Land
und behalten jeden Schritt in Erinnerung.
Die Boote stehen wieder bereit, die
Inuit winken uns lächelnd entgegen. Zeit für den Abschied. Mit
langen Gesichtern steigen wir ins Boot in Richtung Tasiilaq. Wir
wollen dort noch einiges unternehmen aber nach dieser Zeit in der
Natur ist selbst ein kleines Inuitdorf zu viel für uns. Wir fühlen
uns ein Stück weit entfremdet von menschlichen Begegnungen. Auf dem
Weg nach Tasiilaq halten wir an einer verlassenen Militärstation der
Amerikaner. Die Endzeitstimmung gefällt mir, auch wenn mit dieser
Station einst der Untergang der Inuitkultur weiter gefördert wurde.
Trotzdem sind diese Bilder unvergesslich.
Die Fjorde gehen auseinander und die
See wird unruhig. Wind kommt auf und unser Boot beginnt zu schaukeln.
Und dann, plötzlich, taucht ein riesiger Buckelwal neben uns auf. So
nah habe ich Wale nie gesehen. Der Wal bleibt bei uns, dreht sich auf
den Rücken und taucht mit seiner weissen Bauchseite unter uns her.
Wir schreien vor Glück.
"Wo ist er? Wo ist er hin?",
ruft einer der Mitreisenden.
"DA!" ruft ein Anderer.
Der Wal taucht wieder neben uns auf und
bläst uns seine Fontäne direkt ins Gesicht.
Ich zähle dies zu den wertvollsten
Momenten in meinem Leben. Als er sich dann mit seiner Fluke
verabschiedet winken wir, jubeln und liegen uns in den Armen.
Ein Hoch auf Grönland!
Die letzten Tage sind wir wieder in
Tasiilaq. Wir wandern am Nordufer, lassen es uns gut gehen und kaufen
für unsere letzten Kronen Souvenirs.
Doch der Tag kommt an dem wir Abschied
nehmen.
Wir fahren zurück nach Kulusuk. Winken Robert Peroni, den Dorfbewohnern und Grönland. Bald sitzen wir wieder in der Maschine nach Reykjavik. Zurück dorthin, wo es alles gibt. In die moderne Welt. Ob wir darin klarkommen werden? Bestimmt. Aber wir werden verändert zurückkehren. Da besteht kein Zweifel.
Wir fahren zurück nach Kulusuk. Winken Robert Peroni, den Dorfbewohnern und Grönland. Bald sitzen wir wieder in der Maschine nach Reykjavik. Zurück dorthin, wo es alles gibt. In die moderne Welt. Ob wir darin klarkommen werden? Bestimmt. Aber wir werden verändert zurückkehren. Da besteht kein Zweifel.
In Grönland selbst haben wir nichts
zurückgelassen. Wir haben unser Herz verloren, ja. Aber zurück
ließen wir nur unsere Fussspuren im Schnee und diese trägt der Wind
wieder davon.