Den Sommer mal nordwärts?
Auf diese Idee käme der
Durchschnittsreisende zunächst nicht. Doch es sei gewarnt! Wer
einmal im hohen Norden eine Reise unternommen hat der wird süchtig
bis an sein Lebensende sein.
Von Island hörte man bis zum
Vulkanausbruch in 2010 relativ wenig. Klar gab es mal Nachrichten vom
Land aus Feuer und Eis aber meistens beschränkten sich diese nur auf
eine Schlechtwetterfront. Was steckt hinter einer solchen schmalen
Aussage?
Nimmt man das erste Buch über Island
in die Hände so ist eindeutig: "Da möchte ich hin."
Also nichts wie los mit dem Rucksack
voller kontroverser Dinge. Zwischen Winterjacke und Badehose ist
alles dabei. Von Sonnencreme über Handschuhe, von Mückenspray bis
Polarschlafsack ist alles eingepackt.
Von Düsseldorf trägt uns das Flugzeug
über den Atlantik bis die Insel irgendwann unter der Wolkendecke
auftaucht. Es ist zwar spät am Abend aber dafür soweit nördlich
nicht wirklich dunkel. So dramatisch die Landschaft aus Steilklippen
in Konturen nun zu entdecken ist kommt sofort das Gefühl von Magie
auf. Hier ist Zauberkraft am Werk, nicht umsonst reisen wir von nun
an im Land der Elfen, Trolle und weiteren Wesen.
Am Flughafen gleich begrüßt von
unserem Reiseleiter fahren wir eine knappe Stunde nach Reykjavik, in
Islands Hauptstadt. Alle Mitreisenden sind müde und nach einer
kurzen Einweisung legen sich alle sofort ins Zelt schlafen.
Früh klingelt der Wecker, leichter
Regen fällt auf die Zeltdecke, noch ist nichts im Camp zu hören. Im
Gruppenzelt steht schon alles bereit für das Frühstück. Kaum sind
alle erwacht, sitzen wir beisammen und sprechen über unsere
Vorstellungen von Island. Keiner aus unserer Gruppe ist jemals zuvor
hier gewesen, kaum jemand kann sich unter der kleinen Insel so weit
abseits vom restlichen Europa bildlich etwas vorstellen. Doch bei
einem sind wir uns einig: "Wir wollen diese Reise, egal wie das
Wetter wird. Dafür sind wir hier."
Nach dem Frühstück fahren ins Zentrum
von Reykjavik. Neben den kleinen „touristischen Strömen“ und
unserem Treffpunkt an der mächtigen Halgrimmskirkja spazieren wir
ein wenig umher und gewinnen einen ersten Eindruck. Mit dem Hausberg
Esja in der Ferne, dem riesigen Hafen am Rande, den
funktionalistischen wie historischen Gebäuden wird uns klar, dass
Reykjavik eine aufstrebende Metropole ist, sich selbst verkörpert,
das Gefühl von Stolz verbreitet. Jedoch sind wir nicht hier, um
Souveniers zu kaufen und kaum blicken wir auf die Uhr ist der
Zeitpunkt nah. Auf geht´s! Raus aus der Stadt, weg von den vielen
Menschen, weg von der Zivilisation. Der Hunger nach Abenteuer steckt
in uns allen. Auf unserem Weg in Richtung des Hochlandes halten wir
in Thingvellir und der Allmänner-Schlucht. Wir erleben die Trennung
der Kontinentalplatten hautnah, erfahren wie die Natur für die
ersten Siedler ein natürliches Theater schuf, um hier politische
Treffen zu organisieren in einem Land voller freier Menschen.
Weiter geht´s zum Geysir. Hier in
seiner Berühmtheit spüren wir zum ersten Mal die Lebendigkeit der
Erde und jubeln bei jedem Ausbruch der Heisswasserfontäne. Die
ersten Eindrücke lassen uns noch lange im Camp darüber sprechen
während die Sonne den Tag füllte und uns auf gutes Wetter für
Morgen hoffen lässt.
Kaum geschlafen und schon wieder aktiv.
Voller Vorfreude bauen wir unser Camp ab, tanken den Wagen kurz auf
und fahren zum mächtigen Gullfoss. Reissende Ströme über die
Kasskaden donnern in die Schlucht und die Gischt umhüllt uns wie ein
Dauerregen. Mehr nass als trocken steigen wir ins Fahrzeug zurück,
stärken uns mit einem Stück isländischer Schokolade und fahren vom
letzten Außenposten hinaus in die Wildnis.
Nach einem letzten Stück Asphalt endet
die geordnete Welt. Schotterpisten mit Schlaglöchern warten auf uns,
unser Fahrer ist nun hochkonzentriert und spricht kein Wort mehr mit
uns. Dies ist auch nicht nötig, zu sehr verschlägt uns die
Landschaft die Sprache.
Die Sonne bricht alle Wolken und zieht
die Vorhänge beiseite. Jetzt wird Island lebendig! Der riesige
Langjökull (Gletscher) mit den spitzen Erhebungen des Jarlhettur
davor bringt uns nicht nur ins Staunen, wir fragen uns auch wie eine
solche Schönheit möglich sein kann.
Für Stunden fahren wir durch die ewige
Steinwüste, sind uns der Leere in der Landschaft bewusst aber
schätzen zugleich die überdimensionale Monotonie.
In Kerlingarfjöll wird es bergig. Die
Weibsberge erstrahlen in voller Größe und wir wandern im Museum der
Erdentstehung. Noch nie erlebte jemand von uns die Entstehung von
Erde so nah wie bei unserer Wanderung in diesem Gebiet. Ich glaube es
gibt keinen besseren Weg als die Welt wandernd zu begreifen.
Keiner von uns braucht eine Pause. Wir
essen hastig und spüren die Sucht nach mehr, nach mehr Landschaft.
In unserem Wagen geht es weiter durch
das Ödland. 60% der Insel sieht so aus? Man kann dies nur schwer
vorstellbar machen. Am frühen Abend treffen wir in Hveravellir ein.
Zuletzt sitzen wir mit einem kalten Bier in einem Hot Pot und reden
über das Erlebte. Während wir uns umrandet von Gletschern in der
Ferne umsehen entdecken wir, das hier draußen sich niemand verloren
fühlt, wir bemerken eher, dass wir alle ein Lächeln auf den Lippen
haben.
Ein weiterer Tag auf der Schotterpiste.
Über Akureyri geht es zum lieblichen
Myvatn für uns. Neben Pseudokratern, Lavafeldern und der Krafla
(Vulkan) im Hintergrund verzehren wir alle Sehenswürdigkeiten die
uns die Natur beschert. Die Myvatnregion ist einzigartig. Unser Camp
direkt am See, blicken wir auf endlose Vogelgruppen, genießen das
milde Klima und sind verzaubert von dem Abwechslungsreichtum. Neben
riesigen vulkanischen Gebilden, Aschekratern und klarem Wasser gibt
es sogar kleine Waldgebiete. Es ist wie in einem Märchen. Die Tage
am Myvatn sind entspannt. Wir haben mehr Zeit unsere Gedanken zu
sortieren, zu verstehen warum Island uns so überfällt mit der
Gewaltigkeit von Eindrücken, welche wir noch lange nach der Reise
nicht verarbeiten werden. Jeder kann auch etwas für sich
unternehmen. Manche gehen Reiten, andere gehen im Naturbad baden,
wieder andere starten einen Rundflug über die Askja... unser
nächstes Ziel.
Mit mehr als nötig im Anhänger
unseres Wagens starten wir wieder in die Wildnis. Dieses Mal durch
Flüsse, über Lavabrocken bis in die Oase von Herdubreidlindir. Ich
habe schon viel über die Askja gelesen, auch das dieser
Zentralvulkan mehrere Calderen in sich verschachtelt hat und egal ob
am Myvatn oder hier, die Vulkane in Island generell aktiv sind und in
nächster Zeit hat niemand die Gewissheit, dass nicht doch mal wieder
einer ausbricht. Somit bilden wir uns Erruptionen unter uns ein
während wir durch den Lavasand spazieren.
Nachdem wir die ersten Flüsse mit
Leichtigkeit durchquert hatten hielten wir am Rande der Sandpiste
einfach mal an, verließen das Auto und gingen ein Stück in die
Landschaft hinein.
Jetzt wo jeder seinen Weg gehen kann
wird uns deutlich welche Anziehungskraft diese weite Landschaft hat.
Je mehr ich mich von der Gruppe entferne spüre ich die Stille. Hält
man den Atem an hört man nichts. Die Weite erzeugt einen Sog dem ich
verfalle und immer weiter in die Landschaft gehen möchte. Die Heimat
verblasst, die Ferne rückt nun nah. Schweigend laufen wir umher,
begreifen warum Isländer von Natur aus schweigsamer sind als andere
Völker. Warum auch? Es bedarf in der Stille niemand zu sprechen,
denn wo sonst erleben wir sie?
Den letzten Fluss durchquert kommen wir
im Schatten der Herdubreid an. Ein Tafelvulkan mit Schneehaube wie
aus dem Bilderbuch. Nach einer gemütlichen Wanderung in der Region
sitzen wir am Abend zusammen und sprechen über die Abenteuer von Ina
von Grumbkow. Damals in 1908 als erste Frau zu Pferd in der Askja,
überhaupt im Hochland unterwegs schrieb sie über ihre Erlebnisse
auf der Suche nach ihrem Mann, der am Öskjuvatn verschwand. Unser
Reiseleiter sagt, dass genau dieser See unser nächstes Ziel sei.
Die Sonne scheint schon wieder. Wir
verstehen nicht warum wir so ein unverschämtes Glück haben. Durch
ewigen vulkanischen Schaum (Bimsstein) geht es bis zum steinernen
Camp in der Askja. Wir nehmen sofort die Wanderung auf, wollen den
Öskjuvatn erreichen und im Eingang der Hölle (Vitikrater) baden
gehen.
Ich könnte hier ewig sitzen und mir
die Finger wundschreiben über jedes Detail dieser großartigen
Landschaft berichten, doch manchmal ist die Grenze erreicht an der
ich sage; "Es ist sinnvoller selbst diese Reise zu unternehmen,
denn ich finde keine Worte so etwas Schönes zu beschreiben."
Am Rande des Öskjuvatn pausieren wir,
spirngen in die wohlig warme milchige Suppe des Vitikraters und sagen
uns, dass dies das beste Freibad der Welt ist.
Schon bald führt uns unser Weg zurück
aus der Askja, doch die Wildheit ist noch längst nicht besiegt. Wir
fahren auf dem legendären Sprengisandur in Richtung Süden.
Nichts als Nebel und Steinwüste liegt
auf unserem Weg. Eine ungeahnte Größe. Wir sind zu allem bereit und
zeigen der düsteren Atmosphäre keine Angst. Der Regen sei hier
normal meint unser Reiseleiter. Durch mächtige Flussläufe geht es
hindurch, unser Auto kämpft verzweifelt gegen die Strömungen aber
doch schaffen wir es bis nach Nydalur und schlafen bei starkem,
kalten Wind mit der Zeltplane in unserem Gesicht ein. Wird Island nun
seine andere, extreme Seite zeigen?
Wir lagen wieder falsch. In Island
scheint nichts geregelt zu sein. Man lebt mit dem Moment und plant
nicht in die Zukunft. Es gilt den Tag zu nehmen und zu leben wie er
eben kommt. Man merkt dies bei Gesprächen mit Isländern. Ich
erlebte sie relativ zurückhaltend, freundlich aber auch
gewissenhaft. Sie verstehen ihr Land besser als alle anderen, warum
sollte ich auch irgendetwas in Frage stellen?
Mit staubigen Lungen erreichen wir den
Süden. Landmannalaugar ist unser Ziel. Ein letzter Blick in Richtung
der Wüste und schon sind wir wieder auf Asphalt unterwegs. Zum Glück
nur für kurze Zeit.
Wenn ich über die Wüste nochmal
nachdenke erkenne ich selbst, dass diese Form von Landschaft nicht
bloß unbewohnbar, lebensfeindlich oder trostlos wirkt. Sie zeigt uns
auch wie klein wir sind, dass wir uns in ihr nicht verlieren sondern
auch zu uns selber finden können. Mit jeder Reise lernt der Mensch
etwas Neues, entwickelt sich auf unterschiedlichen Ebenen weiter.
Darum stärkt Reisen uns auch.
Nach einem kurzen Tankstopp geht es
nochmal auf die Schotterpiste bis wir Landmannahelid erreichen. In
den nächsten Tagen stehen noch einige Wanderungen an. Das Camp ist
nicht gerade gut besucht zu unserem Glück. Hier können wir nochmal
in uns gehen, erklimmen einige Höhen und freuen uns über die weiten
Blicke in eine Märchenlandschaft sondergleichen.
Im darauf folgenden Tag wandern wir
durch die Ryolithlandschaft von Südisland. Wie eine
Zuckerbäckerlandschaft ziehen sich die Berge in die Ferne, lassen
uns wieder Staunen und Schweigen während der Wind auf den Gipfeln
bläst und uns nur für kurze Zeit diesen unvergesslichen Einblick
gewährt.
Wir sind so verträumt, so verliebt in
Island, dass wir keinen Gedanken verschwenden diese Reise eines Tages
zu beenden. Und doch müssen wir weiter.
Wir wollen noch einen letzten Trip
wagen. Nochmals geht es durch Flüssen, Berg rauf Berg runter. Der
Wagen kämpft verbittert gegen jeden Steinschlag, wir schlafen unter
dem monotonen Dröhnen der Maschine ein.
Als ich erwache erblicke ich nur grüne
Täler. Die wenigen fruchtbaren Landstriche im Süden tauchen wie aus
dem Nichts hinter dem Rücken des Hochlandmonsters auf und geben uns
den Blickfang für Zivilisation.
An der Südküste Islands übernachten
wir in Vik. Der Nebel umhüllt die steilen Klippen in welchen
Eissturmvögel nisten, in der Ferne rauscht das Meer und wir grillen
uns Lachs. Es regnet aber das stört uns nicht. Wir hatten so viele
Tage ungewöhnlich schönes Wetter, da macht der Regen im Süden auch
nichts mehr an unserer guten Laune. Wo hat man schon solches Glück
wie hier in Island?
Nochmals packen wir unsere Ausrüstung
und nochmals geht es entlang der Küste in Richtung Reykjavik. Wir
stoppen hier und da, sehen Seevögel und Klippen, Pferde und
gigantische Wasserfälle. Hier wird der Märchenlandeffekt wieder
deutlich. Ja, dies hier ist das Land der Trolle.
Am späteren Nachmittag bauen wir unser
Camp wieder in Reykjavik auf. Nach einer kurzen Erfrischung geht es
am Abend in die Innenstadt zu einem gemeinsamen Abendessen. Wir haben
als Leihe, als Anfänger begonnen und beenden diese Reise mit einem
isländischen Traditionsessen. Jeder willigte ein dieses Abenteuer
der nordischen Kulinarik zu erleben und somit wundern uns
Papageintaucherfilets, Rentierpasteten und der berühmte Gammelhai
auch nicht.
Lachend und
lallend verlassen wir das Restaurant, gehen noch aus in die wilde
Nachtszene der Isländer, hören Gespräche wovon wir kein Wort
verstehen, lauschen der befremdlichen Musik und stolpern in den
Morgenstunden in unsere Zelte zurück.
Egal wie lange wir morgen schlafen,
egal wann es Frühstück gibt, wir sind zufrieden und glücklich und
bei einem sind wir uns alle sicher:
"Abenteuer steckt in uns allen."
-Dennis Hartke
mehr infos: www.travel-and-personality.de
Bilder der Reise
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