Sonntag, 11. Januar 2015

Aserbaidschan - Land der leisen Zwischentöne - von Heike Gumsheimer

Wenn ich erzählte, dass ich nach Aserbaidschan reise, waren die Reaktionen meist gleich. Was willst du denn dort? Ist es dort nicht gefährlich? Und wenn ich dann fragte, ob die Ängstlichen denn wüssten, wo das Land liegt, war die Reaktion auch gleich. Nein, eigentlich nicht. Irgendwann dachte ich, es wäre einfacher gewesen, ich wäre zum Mond geflogen. Die Frage nach der Lage wäre da klar.
Und dann, als ich landete, nachts in Baku, kam ich mir tatsächlich ein bisschen vor, wie auf dem Mond, oder einem Raumschiff oder das, was ich mir darunter vorstelle. Als top moderne Glas-Stahlkonstruktion, von der Form durchaus mit einem Raumschiff vergleichbar, beleuchtete das neue Flughafengebäude die Dunkelheit. Eine leichte Brise wehte den trockenen Geruch von Sand und Steinen vorbei, perfekte Mondszenerie, dachte ich. Nur die Temperaturen passten nicht. Es war mild und angenehm. Auf dem kurzen Weg zum Taxibus nahm ich staunend eine Vielzahl von Porsche Cayenne, VW Touareg, BMW X5 wahr. Dann fuhren wir zum Hotel. Irgendwo da draußen lagen die Steine und der Sand der aserbaidschanischen Halbwüste, nach denen es roch. Gut versteckt hinter kilometerlangen Mauern, die den Highways links und rechts begrenzten. Hohe Mauern, niedrige Mauern, verzierte Mauern, schlichte Mauern, schützende Mauern, trennende Mauern und vor allem leuchtende Mauern. Alle waren sie angestrahlt, über Kilometer. Selten gaben sie den Blick frei, auf das, was dahinter liegt. Und dann eine Tankstelle. Warum ich das erwähne? Weil die Tankstellen in Baku groß sind. Riesig, üppig, futuristisch, gewaltig. Licht durchflutet, wie ein Monument, wie ein riesiges Statussymbol, das zu schreien scheint: „Schaut her, wir haben es geschafft.“
Wir näherten uns Baku und nun roch ich das Meer. Aber was nun links und rechts entlang der Straßen hinter den Mauern stand, wirkte wie typische Plattenbauten der Sowjetzeit, passte nicht zur Fassadenoptik. Sie täuschten vor, man fahre durch Paris. Später, am nächsten Morgen sollte ich von Rena der Reiseleiterin erfahren, dass der Präsident ein Frankreich Liebhaber ist und sämtliche Sowjetfassaden mit klassizistischem Stuck und Schmuck umhüllen lässt. Nach der ersten Stunde Aserbaidschan war ich verwirrt. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Im Hotel fiel ich in einen kurzen, aufgeregten, erwartungsvollen Schlaf.
In den ersten Tagen standen Baku und die Abseron Halbinsel auf dem Programm. Rena, eine Aserbaidschanerin, hatte das Lächeln eines Spitzbubs, den strengen Blick einer Lehrerin, ordentliche Rundungen einer Frau und eine nie versiegende Quelle an Detailinformationen und Anekdoten über ihr Land. Mit Stolz und Energie begleitete sie uns die nächsten Tage. Baku ist eine moderne Stadt. Breite, zum Teil gigantisch breite Straßen führten an der Promenade entlang; sämtliche Top-Hotels der Welt reihen sich wie Perlen auf einer Kette irgendwo an der Küstenlinie entlang.
Baku scheint derzeit architektonisch umgekrempelt zu werden. Moderne Architektur der Superlative sprießt an allen Ecken und Enden aus dem Boden. Das vom britischen Stararchitekten Zaha Hadid entworfene Heydar-Aliyev-Kulturzentrum vereint unter einer futuristisch geschwungenen Oberfläche Auditorien, Museen, eine Bibliothek und einen Konzertsaal.
Am auffälligsten ist das heimliche Wahrzeichen der Stadt, die Flame Towers – Flammentürme. Diese gigantischen Türme lodern über Baku und lassen die umliegenden Gebäude zu Zwergen schrumpfen. Nachts werfen sie eine spektakuläre Lightshow über die Stadt. Und in diese Moderne schmiegt sich, nur wenige Meter vom Meer entfernt, die historische Altstadt. Durch schmale Gassen, auf Kopfsteinpflaster, entlang der alten Stadthäuser mit ihren reich verzierten Balkonen und Vorbauten geht es an der Stadtmauer ein paar Meter hinauf auf eine Anhöhe. Ein Tor öffnet die Mauer und dahinter bilden die Moschee, die alte Koranschule, die Karawanserei, die Innenhöfe mit Orangen- und Zitronenbäumen eine Zuflucht der Ruhe in der hektischen Metropole. Gegen Abend fahren wir mit einer Fähre durch die Bakuer Bucht. Der Blick vom Meer auf die Skyline ist ein Highlight und die Einheimischen, die abends, wenn es kühler wird, aus ihren Wohnungen kommen, um sich mit Freunden zu treffen, um mit Ihren Kindern Boot zu fahren oder um sich verliebt über die Schiffsbrüstung gebeugt irgendwohin in den Sonnenuntergang zu träumen.
Auf der Abseron Halbinsel wird schnell klar, warum Aserbaidschan seinen Beinamen „Land des Feuers“ trägt. Wir fuhren zum brennenden Felsen Yanar Dag. Seit Jahren strömt Erdgas aus dem Fels und 1958 hat hier ein Hirte zufällig die ewige Flamme entzündet, so eine der gängigen Geschichten. Abends, in der Dämmerung ist das Naturschauspiel besonders schön. Einige Kilometer weiter kommen wir zum Feuertempel von Atesgah. Angeblich diente der Tempel bereits den Zoroastriern, einer persischen Religionsgemeinschaft. Das vermeintlich nie erlöschende Feuer, um das der Tempel gebaut wurde, wird heute allerdings für Touristen an und ausgeschaltet. Durch die extensive Ölförderung der umliegenden Felder ist wohl der Druck stark gesunken, außerdem spielen sicher wirtschaftliche Gründe eine Rolle bei der Regulierung des Gasstroms. Besonders spannend fand ich die Fahrt durch kilometerweite Ölabbaufelder. Soweit das Auge reicht, Erdölpumpen. Teils noch in Betrieb, teils bereits Friedhöfe, weil das Fleckchen Erde darunter leer gepumpt ist. Rena erzählt von Neft Daslari, einer Stadt auf Stelzen mitten im Meer. Sie wurde 1948 gebaut. Über viele Jahre lebten dort bis zu 5000 Arbeiter mit ihren Familien und förderten Öl. Von den 300 Kilometer Straßen, die gebaut wurden, ist etwa die Hälfte noch erhalten. Die ganze Stadt ist vom steigenden Meerwasserspiegel und der Korrosion gefährdet. Das touristische Potential wird leider nicht genutzt; ohne besondere Genehmigung ist eine Besichtigung nicht möglich. Und während links und rechts von mir die Pumpen vorbei ziehen, bewegt mich der Gedanke, dass es genau diese schwarze Masse ist, die die ganze Welt in diesem Jahrhundert in Atem hält.
Am nächsten Morgen verlassen wir nun die Hauptstadtregion und ich freue mich sehr, das Hinterland kennenzulernen. Ich ahne, dass der Wohlstand, der in Baku zur Schau getragen wird, nur ein Teil der Wahrheit dieses Landes ist. Und ich behalte Recht, denn schon wenige Kilometer hinter der Stadtgrenze wird klar, dass Baku Vorzeigefunktion in Richtung Europa hat. Die Dörfer und Ansiedlungen, durch die wir die nächsten Stunden fahren, sind geprägt von sowjetischer Funktionsarchitektur, die sich praktisch entlang der Durchfahrtsstraßen aufreihen. Hier haben sich keine Stararchitekten verewigt, hier sind Prada und Louis Vuitton unbekannt, hier stehen verbeulte Ladas statt Porsche Cayenne, hier spielen Kinder mit Draht, Steinen, Stöcken und alten Autoreifen. Und ich fand es echt und ehrlicher.
Weiche, hügelige Regionen mit Blick zum fernen Kaukasus, auf dessen Spitzen der Schnee zu erahnen war, lösten karge, braune, sandige Halbwüsten ab. Dann wurde es gebirgig und grün. Dort reichte der Blick gerade bis zur nächsten Kurve und irgendwann wurde es wieder flacher und bewaldet und mitten in diesen Wäldern liegt Seki. Seki war eine wichtige Handelsstation auf der Seidenstraße, was die alten sehr gut erhaltenen und liebevoll restaurierten Karawansereien bezeugen. Überhaupt habe ich in Aserbaidschan die schönsten Karawansereien gesehen. Sie sind dort in sehr gutem Zustand. Und mit wenig Phantasie kann man sich vorstellen, wie die ewig kauenden Kamele im Stall stehen, wie die Händler in langen Gewändern ihre Waren anpreisen und feilschen. Der Duft von Tee und Wasserpfeife steigt einem in die Nase und man sieht sie abends am Tisch Backgammon spielen. Die Hauptsehenswürdigkeit in Seki ist aber der alte Khan Palast aus dem 18. Jahrhundert. Besonders groß ist er nicht, aber ich war fasziniert vom Farbrausch der naiv-realistisch bemalten Wände der Innenräume und den bunten Fenstern. Und wie so oft sind es nicht die klassischen Sehenswürdigkeiten, die eine Reise zum Erlebnis machen. Wir durften nun erfahren, wo und wie diese wunderbaren Fenster entstehen. Dazu musste man nur um die Ecke gehen, einige Meter einen Feldweg hinauf(?) und dann standen wir vor einer Werkstatt mit Weltruf. In einem kleinen Steinhaus unter zwei großen alten Bäumen, arbeiten ein Sohn und fünf Männer an diesen bunten Fenstern. Kleine, 3-5 Zentimeter lange Hölzchen wechseln sich mit bunten Glasstücken ab. Holz, Glas, Holz, Glas, Holz, Glas füllen einen Rahmen aus. Nicht geleimt sondern gesteckt und dadurch unglaublich stabil. Der Sohn schlägt zur Demonstration mit der flachen Hand auf eines der Fenster. Wir erschrecken, halten die Luft an, eine kreischt. Der Sohn grinst – sein running gag bei Besuchern. Der Vater, ein etwa 60 jähriger Herr, ist außer Haus. Er macht Geschäfte, reist, schließt Aufträge ab. Und es ist kaum vorstellbar, dass er von dieser kleinen Werkstatt unter den Bäumen in Seki steinreiche Araber in der ganzen Welt mit seinen bunten Kunstwerken beliefert.
Es war auch in Seki, als ich im modernen Teil der Stadt Shampoo kaufen wollte. Und da bekam ich einen kurzen Eindruck von den Menschen. Ich fand sie neugierig zurückhaltend. Sie beobachteten mich, als ich die Straße entlang lief, zweifelsohne war ich eine Fremde. Die Männer schauten und schauten gleich weg, wenn sie sich beim Schauen ertappt fühlten. Die Frauen schauten direkter, aber scheu. Niemand lächelte. Ich hatte das noch nie irgendwo in dieser Art erlebt. Und dann wollte ich es wissen. Ich stand im Supermarkt und suchte Shampoo und konnte nichts lesen. Erahnen ja, denn westliche Marken gibt es jede Menge. Die Logos sind gleich, aber ob Shampoo oder Body Lotion? Eine ältere Dame stand vor dem Regal und ich machte Zeichen, wühlte in meinem Haar und zeigte auf eine Flasche. Erst sah sie mich einen Augenblick erstaunt an, dann zog sie eine Jüngere zu Rate und noch eine und ich wühlte nochmal im Haar und plötzlich fing eine an zu lachen und dann lachten alle und nickten mir zu. Ja! Ich hatte Shampoo und ich hatte sie geknackt, die scheue Zurückhaltung.
Von Seki ging es weiter in Richtung Norden in den Kaukasus, wo wir zwei Tage in die zurückgezogene Bergkultur der Aserbaidschaner eintauchen durften. Wunderschöne Wanderungen und tolle Tage in einer wild, zerklüfteten Natur erlebten wir dort. Dann fuhren wir zurück Richtung Gonca und zur Deutschen Siedlung Helenendorf. Dort lernten wir viel/Einiges über deutsch/russische Geschichte und mich begeisterte der Mut der Menschen, die damals, Anfang des 19. Jahrhunderts ihre Heimat in Süddeutschland verließen, um im fernen, unbekannten Osten zu siedeln und neu zu beginnen. Auch über die Felszeichnungen in Gobustan und das tolle Naturkundemuseum dort könnte ich erzählen, aber mein ganz persönliches Highlight waren die Schlammvulkane in der Nähe von Gobustan. Eigentlich war das nicht vorgesehen im Programm, aber wir hatten ein wenig Zeit und wir hatten Lust und so bog unser Fahrer kurz vor Gobustan ab und fuhr die nächsten Kilometer auf staubiger Piste landeinwärts. Der Tag war verhangen, die Sonne hatte sich wenig blicken lassen. Irgendwann wurde die Piste steiler und holpriger und für einen kurzen Moment zweifelten wir daran, ob dieser Abstecher eine gute Idee war, doch dann tauchten sie auch schon auf. Zahllose vier, fünf Meter hohe Schlammkegel verteilten sich über eine Fläche von vielleicht 500 x 500 Meter. Der Wind, der graue Sandkörner über die Weite fegte, war so stark, dass wir uns kaum an den Flanken der kleinen Vulkankegel halten konnten. Oben angekommen blickten wir in blubbernde Schlammlöcher, die ununterbrochen graue Matsche beförderten und ihre Kegel permanent wachsen ließen. Der Schlamm ist kalt und das Phänomen hat an sich nichts mit klassischem Vulkanismus zu tun. Gas wird im Untergrund zusammengepresst und dringt dann mit Wasser und Gestein nach oben.
Jetzt standen wir wirklich inmitten einer Mondlandschaft!

Aserbaidschan war für mich kein Land der klassischen Highlights. Aserbaidschan ist für mich ein Land der leisen Zwischentöne. Ich fand sie spannend, interessant, faszinierend und auch verwirrend – auf alle Fälle eine Reise wert. 

www.travel-and-personality.de

Bilder der Reise von Heike Gumsheimer:
 






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