Wenn
ich erzählte, dass ich nach Aserbaidschan reise, waren die
Reaktionen meist gleich. Was willst du denn dort? Ist es dort nicht
gefährlich? Und wenn ich dann fragte, ob die Ängstlichen denn
wüssten, wo das Land liegt, war die Reaktion auch gleich. Nein,
eigentlich nicht. Irgendwann dachte ich, es wäre einfacher gewesen,
ich wäre zum Mond geflogen. Die Frage nach der Lage wäre da klar.
Und
dann, als ich landete, nachts in Baku, kam ich mir tatsächlich ein
bisschen vor, wie auf dem Mond, oder einem Raumschiff oder das, was
ich mir darunter vorstelle. Als top moderne Glas-Stahlkonstruktion,
von der Form durchaus mit einem Raumschiff vergleichbar, beleuchtete
das neue Flughafengebäude die Dunkelheit. Eine leichte Brise wehte
den trockenen Geruch von Sand und Steinen vorbei, perfekte
Mondszenerie, dachte ich. Nur die Temperaturen passten nicht. Es war
mild und angenehm. Auf dem kurzen Weg zum Taxibus nahm ich staunend
eine Vielzahl von Porsche Cayenne, VW Touareg, BMW X5 wahr. Dann
fuhren wir zum Hotel. Irgendwo da draußen lagen die Steine und der
Sand der aserbaidschanischen Halbwüste, nach denen es roch. Gut
versteckt hinter kilometerlangen Mauern, die den Highways links und
rechts begrenzten. Hohe Mauern, niedrige Mauern, verzierte Mauern,
schlichte Mauern, schützende Mauern, trennende Mauern und vor allem
leuchtende Mauern. Alle waren sie angestrahlt, über Kilometer.
Selten gaben sie den Blick frei, auf das, was dahinter liegt. Und
dann eine Tankstelle. Warum ich das erwähne? Weil die Tankstellen in
Baku groß sind. Riesig, üppig, futuristisch, gewaltig. Licht
durchflutet, wie ein Monument, wie ein riesiges Statussymbol, das zu
schreien scheint: „Schaut her, wir haben es geschafft.“
Wir
näherten uns Baku und nun roch ich das Meer. Aber was nun links und
rechts entlang der Straßen hinter den Mauern stand, wirkte wie
typische Plattenbauten der Sowjetzeit, passte nicht zur
Fassadenoptik. Sie täuschten vor, man fahre durch Paris. Später, am
nächsten Morgen sollte ich von Rena der Reiseleiterin erfahren, dass
der Präsident ein Frankreich Liebhaber ist und sämtliche
Sowjetfassaden mit klassizistischem Stuck und Schmuck umhüllen
lässt. Nach der ersten Stunde Aserbaidschan war ich verwirrt. So
hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Im Hotel fiel ich in einen
kurzen, aufgeregten, erwartungsvollen Schlaf.
In
den ersten Tagen standen Baku und die Abseron Halbinsel auf dem
Programm. Rena, eine Aserbaidschanerin, hatte das Lächeln eines
Spitzbubs, den strengen Blick einer Lehrerin, ordentliche Rundungen
einer Frau und eine nie versiegende Quelle an Detailinformationen und
Anekdoten über ihr Land. Mit Stolz und Energie begleitete sie uns
die nächsten Tage. Baku ist eine moderne Stadt. Breite, zum Teil
gigantisch breite Straßen führten
an der Promenade entlang; sämtliche Top-Hotels der Welt reihen sich
wie Perlen auf einer Kette irgendwo an der Küstenlinie entlang.
Baku
scheint derzeit architektonisch umgekrempelt zu werden. Moderne
Architektur der Superlative sprießt an allen Ecken und Enden aus dem
Boden. Das vom britischen Stararchitekten Zaha Hadid entworfene
Heydar-Aliyev-Kulturzentrum vereint unter einer futuristisch
geschwungenen Oberfläche Auditorien, Museen, eine Bibliothek und
einen Konzertsaal.
Am
auffälligsten ist das heimliche Wahrzeichen der Stadt, die Flame
Towers – Flammentürme. Diese gigantischen Türme lodern über Baku
und lassen die umliegenden Gebäude zu Zwergen schrumpfen. Nachts
werfen sie eine spektakuläre Lightshow über die Stadt. Und in diese
Moderne schmiegt sich, nur wenige Meter vom Meer entfernt, die
historische Altstadt. Durch schmale Gassen, auf Kopfsteinpflaster,
entlang der alten Stadthäuser mit ihren reich verzierten Balkonen
und Vorbauten geht es an der Stadtmauer ein paar Meter hinauf auf
eine Anhöhe. Ein Tor öffnet die Mauer und dahinter bilden die
Moschee, die alte Koranschule, die Karawanserei, die Innenhöfe mit
Orangen- und Zitronenbäumen eine Zuflucht der Ruhe in der hektischen
Metropole. Gegen Abend fahren wir mit einer Fähre durch die Bakuer
Bucht. Der Blick vom Meer auf die Skyline ist ein Highlight und die
Einheimischen, die abends, wenn es kühler wird, aus ihren Wohnungen
kommen, um sich mit Freunden zu treffen, um mit Ihren Kindern Boot zu
fahren oder um sich verliebt über die Schiffsbrüstung gebeugt
irgendwohin in den Sonnenuntergang zu träumen.
Auf
der Abseron Halbinsel wird schnell klar, warum Aserbaidschan seinen
Beinamen „Land des Feuers“ trägt. Wir fuhren zum brennenden
Felsen Yanar Dag. Seit Jahren strömt Erdgas aus dem Fels und 1958
hat hier ein Hirte zufällig die ewige Flamme entzündet, so eine der
gängigen Geschichten. Abends, in der Dämmerung ist das
Naturschauspiel besonders schön. Einige Kilometer weiter kommen wir
zum Feuertempel von Atesgah. Angeblich diente der Tempel bereits den
Zoroastriern, einer persischen Religionsgemeinschaft. Das
vermeintlich nie erlöschende Feuer, um das der Tempel gebaut wurde,
wird heute allerdings für Touristen an und ausgeschaltet. Durch die
extensive Ölförderung der umliegenden Felder ist wohl der Druck
stark gesunken, außerdem spielen sicher wirtschaftliche Gründe eine
Rolle bei der Regulierung des Gasstroms. Besonders spannend fand ich
die Fahrt durch kilometerweite Ölabbaufelder. Soweit das Auge
reicht, Erdölpumpen. Teils noch in Betrieb, teils bereits Friedhöfe,
weil das Fleckchen Erde darunter leer gepumpt ist. Rena erzählt von
Neft Daslari, einer Stadt auf Stelzen mitten im Meer. Sie wurde 1948
gebaut. Über viele Jahre lebten dort bis zu 5000 Arbeiter mit ihren
Familien und förderten Öl. Von den 300 Kilometer Straßen, die
gebaut wurden, ist etwa die Hälfte noch erhalten. Die ganze Stadt
ist vom steigenden Meerwasserspiegel und der Korrosion gefährdet.
Das touristische Potential wird leider nicht genutzt; ohne besondere
Genehmigung ist eine Besichtigung nicht möglich. Und während links
und rechts von mir die Pumpen vorbei ziehen, bewegt mich der Gedanke,
dass es genau diese schwarze Masse ist, die die ganze Welt in diesem
Jahrhundert in Atem hält.
Am
nächsten Morgen verlassen wir nun die Hauptstadtregion und ich freue
mich sehr, das Hinterland kennenzulernen. Ich ahne, dass der
Wohlstand, der in Baku zur Schau getragen wird, nur ein Teil der
Wahrheit dieses Landes ist. Und ich behalte Recht, denn schon wenige
Kilometer hinter der Stadtgrenze wird klar, dass Baku
Vorzeigefunktion in Richtung Europa hat. Die Dörfer und
Ansiedlungen, durch die wir die nächsten Stunden fahren, sind
geprägt von sowjetischer Funktionsarchitektur, die sich praktisch
entlang der Durchfahrtsstraßen aufreihen. Hier haben sich keine
Stararchitekten verewigt, hier sind Prada und Louis Vuitton
unbekannt, hier stehen verbeulte Ladas statt Porsche Cayenne, hier
spielen Kinder mit Draht, Steinen, Stöcken und alten Autoreifen. Und
ich fand es echt und ehrlicher.
Weiche,
hügelige Regionen mit Blick zum fernen Kaukasus, auf dessen Spitzen
der Schnee zu erahnen war, lösten karge, braune, sandige Halbwüsten
ab. Dann wurde es gebirgig und grün. Dort reichte der Blick gerade
bis zur nächsten Kurve und irgendwann wurde es wieder flacher und
bewaldet und mitten in diesen Wäldern liegt Seki. Seki war eine
wichtige Handelsstation auf der Seidenstraße, was die alten sehr gut
erhaltenen und liebevoll restaurierten Karawansereien bezeugen.
Überhaupt habe ich in Aserbaidschan die schönsten Karawansereien
gesehen. Sie sind dort in sehr gutem Zustand. Und mit wenig Phantasie
kann man sich vorstellen, wie die ewig kauenden Kamele im Stall
stehen, wie die Händler in langen Gewändern ihre Waren anpreisen
und feilschen. Der Duft von Tee und Wasserpfeife steigt einem in die
Nase und man sieht sie abends am Tisch Backgammon spielen. Die
Hauptsehenswürdigkeit in Seki ist aber der alte Khan Palast aus dem
18. Jahrhundert. Besonders groß ist er nicht, aber ich war
fasziniert vom Farbrausch der naiv-realistisch bemalten Wände der
Innenräume und den bunten Fenstern. Und wie so oft sind es nicht die
klassischen Sehenswürdigkeiten, die eine Reise zum Erlebnis machen.
Wir durften nun erfahren, wo und wie diese wunderbaren Fenster
entstehen. Dazu musste man nur um die Ecke gehen, einige Meter einen
Feldweg hinauf(?) und dann standen wir vor einer Werkstatt mit
Weltruf. In einem kleinen Steinhaus unter zwei großen alten Bäumen,
arbeiten ein Sohn und fünf Männer an diesen bunten Fenstern.
Kleine, 3-5 Zentimeter lange Hölzchen wechseln sich mit bunten
Glasstücken ab. Holz, Glas, Holz, Glas, Holz, Glas füllen einen
Rahmen aus. Nicht geleimt sondern gesteckt und dadurch unglaublich
stabil. Der Sohn schlägt zur Demonstration mit der flachen Hand auf
eines der Fenster. Wir erschrecken, halten die Luft an, eine
kreischt. Der Sohn grinst – sein running
gag bei
Besuchern. Der Vater, ein etwa 60 jähriger Herr, ist außer Haus. Er
macht Geschäfte, reist, schließt Aufträge ab. Und es ist kaum
vorstellbar, dass er von dieser kleinen Werkstatt unter den Bäumen
in Seki steinreiche Araber in der ganzen Welt mit seinen bunten
Kunstwerken beliefert.
Es
war auch in Seki, als ich im modernen Teil der Stadt Shampoo kaufen
wollte. Und da bekam ich einen kurzen Eindruck von den Menschen. Ich
fand sie neugierig zurückhaltend. Sie beobachteten mich, als ich die
Straße entlang lief, zweifelsohne war ich eine Fremde. Die Männer
schauten und schauten gleich weg, wenn sie sich beim Schauen ertappt
fühlten. Die Frauen schauten direkter, aber scheu. Niemand lächelte.
Ich hatte das noch nie irgendwo in dieser Art erlebt. Und dann wollte
ich es wissen. Ich stand im Supermarkt und suchte Shampoo und konnte
nichts lesen. Erahnen ja, denn westliche Marken gibt es jede Menge.
Die Logos sind gleich, aber ob Shampoo oder Body Lotion? Eine ältere
Dame stand vor dem Regal und ich machte Zeichen, wühlte in meinem
Haar und zeigte auf eine Flasche. Erst sah sie mich einen Augenblick
erstaunt an, dann zog sie eine Jüngere zu Rate und noch eine und ich
wühlte nochmal im Haar und plötzlich fing eine an zu lachen und
dann lachten alle und nickten mir zu. Ja! Ich hatte Shampoo und ich
hatte sie geknackt, die scheue Zurückhaltung.
Von
Seki ging es weiter in Richtung Norden in den Kaukasus, wo wir zwei
Tage in die zurückgezogene Bergkultur der Aserbaidschaner eintauchen
durften. Wunderschöne Wanderungen und tolle Tage in einer wild,
zerklüfteten Natur erlebten wir dort. Dann fuhren wir zurück
Richtung Gonca und zur Deutschen Siedlung Helenendorf. Dort lernten
wir viel/Einiges über deutsch/russische Geschichte und mich
begeisterte der Mut der Menschen, die damals, Anfang des 19.
Jahrhunderts ihre Heimat in Süddeutschland verließen, um im fernen,
unbekannten Osten zu siedeln und neu zu beginnen. Auch über die
Felszeichnungen in Gobustan und das tolle Naturkundemuseum dort
könnte ich erzählen, aber mein ganz persönliches Highlight waren
die Schlammvulkane in der Nähe von Gobustan. Eigentlich war das
nicht vorgesehen im Programm, aber wir hatten ein wenig Zeit und wir
hatten Lust und so bog unser Fahrer kurz vor Gobustan ab und fuhr die
nächsten Kilometer auf staubiger Piste landeinwärts. Der Tag war
verhangen, die Sonne hatte sich wenig blicken lassen. Irgendwann
wurde die Piste steiler und holpriger und für einen kurzen Moment
zweifelten wir daran, ob dieser Abstecher eine gute Idee war, doch
dann tauchten sie auch schon auf. Zahllose vier, fünf Meter hohe
Schlammkegel verteilten sich über eine Fläche von vielleicht 500 x
500 Meter. Der Wind, der graue Sandkörner über die Weite fegte, war
so stark, dass wir uns kaum an den Flanken der kleinen Vulkankegel
halten konnten. Oben angekommen blickten wir in blubbernde
Schlammlöcher, die ununterbrochen graue Matsche beförderten und
ihre Kegel permanent wachsen ließen. Der Schlamm ist kalt und das
Phänomen hat an sich nichts mit klassischem Vulkanismus zu tun. Gas
wird im Untergrund zusammengepresst und dringt dann mit Wasser und
Gestein nach oben.
Jetzt
standen wir wirklich inmitten einer Mondlandschaft!
Aserbaidschan
war für mich kein Land der klassischen Highlights. Aserbaidschan ist
für mich ein Land der leisen Zwischentöne. Ich fand sie spannend,
interessant, faszinierend und auch verwirrend – auf alle Fälle
eine Reise wert.
www.travel-and-personality.de
Bilder der Reise von Heike Gumsheimer:
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